Rechtstipp

Überstunden: Nicht ohne Bezahlung!

28.06.2024 | Die meisten Beschäftigten kennen es: Es wird so viel Arbeit zugewiesen, dass Überstunden geleistet werden müssen. Aber wenn es dann darum geht, dass die Überstunden auch bezahlt werden, wollen die Arbeitgeber nichts davon wissen. Wie es gelingt, Überstunden erfolgreich im Prozess durchzusetzen, erläutert Rechtsanwältin Mechtild Kuby von dka-Anwälte.

Mechthild Kuby - Foto: privat

Der Grundsatz: „Keine Arbeit ohne Bezahlung!“ gilt auch für geleistete Überstunden. Manche Arbeitsverträge enthalten Abgeltungsklauseln, wonach mit dem normalen Gehalt auch die Überstunden abgegolten sein sollen. Zu prüfen ist hier, ob eine solche Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) wirksam oder zum Beispiel wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot vielmehr unwirksam ist (BAG 4.5.2022 - 5 AZR 474/21, Rn. 9ff). Ohne eine zahlenmäßige oder prozentuale Vereinbarung ist eine solche Abgeltungsklausel in der Regel unwirksam. Zudem ist zu prüfen, ob bei Mitabgeltung der Mehrarbeitsstunden noch der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird, da es sonst zu einer unzulässigen faktischen Unterschreitung des Mindestlohns kommen kann.

Ohne eine Regelung zur Vergütung der Mehrarbeit im Arbeitsvertrag kann der Anspruch auf Bezahlung der Überstunden auf § 612 BGB gestützt werden, da die Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Vor der Einreichung einer Klage ist wie immer zu prüfen, ob arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen die erfolgreiche Durchsetzung des Anspruchs verhindern. Entsprechende arbeitsvertragliche Klauseln können als Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sein.

Haben Arbeitnehmende Überstunden gemacht, kommt es bei der Frage der Bezahlung dennoch hierüber häufig zum Streit, insbesondere wenn die Arbeitszeit nicht erfasst wird oder die Arbeitnehmenden hierauf keinen Zugriff haben.

Darlegungs- und Beweislast für Überstunden bei den Arbeitnehmenden

Verweigern die Arbeitgeber die Bezahlung der Überstunden, obliegt es den Arbeitnehmenden vor Gericht darzulegen und zu beweisen, dass sie – in der 1. Stufe – Arbeit in einem die vereinbarte Arbeitszeit übersteigenden Umfang erbracht haben und – in der 2. Stufe –, dass die Leistung von Überstunden arbeitgeberseitig veranlasst wurde oder sie zumindest der Arbeitgeberseite zuzurechnen sind. Da regelmäßig eine bestimmte Arbeitszeit vereinbart ist, können die Arbeitnehmenden dem Arbeitgeber nicht durch Mehrarbeit Überstunden aufdrängen und letztlich den Umfang ihres Vergütungsanspruch selbst bestimmen.

In der 1. Stufe muss der Arbeitnehmer vortragen, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Ohne Arbeitszeiterfassung oder ohne Zugriff auf diese, ist dies die erste Hürde. Denn es obliegt dem Arbeitnehmer, präzise und lückenlos Tag für Tag, Woche für Woche Anfang und Ende der Arbeitszeit unter Abzug der Pausen vorzutragen. Dabei ist es ausreichend, wenn die Arbeitnehmenden auf eigene Aufzeichnungen zurückgreifen können, seien es handschriftliche Notizen oder digitale Aufzeichnungen über eine Ortungs-App. Zudem sollten so detailliert wie möglich Gründe benannt werden, warum die Überstunden geleistet werden mussten, seien es Sonderaufgaben, Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen von Kollegen, Projekte oder bestimmt zeitkritische Arbeiten, die zu erledigen waren. Auch etwa erfolgte Überlastungsanzeigen sind aufzuführen.

Auf diese Angaben des Arbeitnehmers hin ist es Sache des Arbeitgebers, im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer den Anweisungen nachgekommen ist oder nicht. Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden im zeitlichen Umfang als zugestanden.

Damit ist der Überstundenprozess noch nicht gewonnen. Denn in der 2. Stufe ist vom Arbeitnehmer die Veranlassung der Überstunden durch den Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Da der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht aufdrängen darf, fordert die Rechtsprechung in der zweiten Stufe, die arbeitnehmerseitige Darlegung, dass die Überstunden ausdrücklich angeordnet, konkludent angeordnet, gebilligt oder geduldet waren.

  • Für die ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss konkret angeben werden, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat, beispielsweise durch den Vortrag, der Arbeitgeber oder ein bevollmächtigter Vorgesetzter habe verlangt, dass eine bestimmte Aufgabe noch am gleichen Tag abgeschlossen werde.
  • Eine konkludente Anordnung der Überstunden liegt vor, wenn der Arbeitgeber Arbeit in einem so großen Umfang zuweist, die unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Hier muss der Arbeitnehmer ausführen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Dabei reicht die alleinige Anwesenheit des Arbeitnehmers zur Darlegung der Notwendigkeit nicht aus (BAG 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 17).
  • Eine Billigung von Überstunden erfolgt, wenn die schon geleisteten Überstunden nachträglich genehmigt werden, indem der Arbeitgeber zu erkennen gibt, dass er mit der schon erfolgten Leistung von Überstunden einverstanden ist. Dies muss nicht ausdrücklich erfolgen; eine Billigung kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis erklärt. Die widerspruchslose Entgegennahme von Arbeitszeitaufzeichnungen reicht hierfür indes nicht aus (BAG 4.5.2022 – 5 AZR 359/21, Rn. 34).
  • Die Duldung von Überstunden ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber es trotz seiner Kenntnis nicht unterbindet, dass die Arbeitnehmenden künftig Überstunden leisten, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt. Hierzu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber Kenntnis erlangt hat und es dann zur weiteren Ableistung von Überstunden gekommen ist. Sodann ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat (BAG 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 21).

Bislang hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese beiden Stufen klar getrennt. Erleichtert hat das BAG nun im Urteil vom 4. Mai 2022 die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers mit folgendem Argument: „Die Darlegung einer Überstundenleistung und die Darlegung ihrer arbeitgeberseitigen Veranlassung können nicht stets strikt voneinander getrennt betrachtet werden, sie können sich im Einzelfall auch „überlappen“ und gegenseitig bedingen.“ Hat der Arbeitnehmer die Leistung von Überstunden substantiiert vorgetragen und die in den betrieblichen Verhältnissen liegenden Ursachen des Überschreitens der Normalarbeitszeit im Einzelnen geschildert, macht er zugleich -und im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast zunächst ausreichend - geltend, die Überstundenleistung sei zur Erledigung der ihm obliegenden Arbeiten erforderlich und damit zumindest konkludent angeordnet gewesen. Es ist dann nicht mehr erforderlich, jeweils gesondert vorzutragen, wer den Arbeitnehmer im Einzelfall zu welchen Tätigkeiten angewiesen hat.“ (BAG 4.5.2022 - 5 AZR 474/21, Rn. 33).

Im nächsten Schritt muss der Arbeitgeber konkret darlegen, aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer vorgebrachten Ursachen für die Überstundenleistung nicht vorgelegen hätten oder aus welchen Gründen der Arbeitnehmer gleichwohl die ihm obliegenden Arbeiten in der Normalarbeitszeit hätte verrichten können.

Zu Gunsten des Arbeitnehmers fiel im Urteil des BAG noch ins Gewicht, dass der Arbeitgeber sich im Arbeitsvertrag mit einer– unwirksamen - Regelung dagegen absichern wollte, Überstunden „extra“ vergüten zu müssen. Es war vereinbart worden, dass Überstunden, die im vertretbaren Rahmen anfallen, mit dem Gehalt abgegolten seien. Daraus folgert das BAG, dass der Arbeitgeber mit dem Anfall von Überstunden rechnete und „bei Bedarf“ die Leistung auch erwartete. Damit war die Klausel geeignet, beim Arbeitnehmer den Eindruck zu erwecken, der Arbeitgeber billige grundsätzlich die Leistung von Überstunden (BAG 4.5.2022 - 5 AZR 474/21, Rn. 35).

Anlass für die Urteile des 5. Senats des BAG vom 04.05.2022 war ein Urteil des EuGH zur Frage der Verpflichtung der Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit. Der EuGH entschied, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet ist, nicht nur die Überstunden, sondern die vollständige Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. „Um die praktische Wirksamkeit der von der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG vorgesehenen Rechte und des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts auf Gesundheitsschutz zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“ (EuGH, CCOO vom 14. Mai 2019 (C-55/18); Rn 60). In der Folge dieses Urteils wurde versucht, sich diese Rechtsprechung auch für die Frage der Vergütung der Überstunden nutzbar zu machen. Dem ist das BAG leider nicht gefolgt, da die europäische Norm dem Gesundheitsschutz diene, nicht jedoch die Bezahlung der Arbeit sicherstellen soll.

Stufenklage auf Auskunft über die Arbeitszeiterfassung und Vergütung der Überstunden

Die vom EuGH entschiedene Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeit zu erfassen, hat dennoch einen positiven Effekt für die Möglichkeit der Durchsetzung des Anspruchs auf Vergütung der Überstunden. Denn häufig wird die Arbeitszeit zwar erfasst, die Arbeitnehmer haben jedoch, insbesondere nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, keinen Zugriff mehr auf die Daten.

Hier kann im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung die Vergütung der Überstunden eingeklagt werden, indem zunächst in der ersten Stufe vor Gericht die Auskunft über die erfasste Arbeitszeit geltend gemacht wird und sodann in der zweiten Stufe der Zahlungsanspruch anhand der erteilten Auskunft berechnet und beziffert wird. Mit Urteil des BAG vom 28.08.2019 - 5 AZR 425/18 hatte das Bundesarbeitsgericht für einen Kraftfahrer, für den nach § 21 a Abs. 7 Satz 3 ArbZG eine gesetzlich normierte Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung besteht, ausgeurteilt, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Auskunftserteilung durch Aushändigung der Aufzeichnungen über die erfassten Arbeitszeiten besteht. In der 2. Stufe kann dann auf der Grundlage der erteilten Auskunft die Vergütung der Überstunden beziffert werden.

Das BAG hat mit Beschluss vom 13. September 2022 - 1 ABR 22/21 festgestellt, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG - in unionskonformer Auslegung - verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Damit hat das BAG verbindlich entschieden, dass das Urteil EuGH vom 14. Mai 2019 (EuGH Rs. 55/18 CCOO) auch von den Arbeitgebern in Deutschland zu beachten ist.

In der Folge können Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeiten nicht selbst aufgezeichnet haben, im Wege der Stufenklage Auskunft über die Arbeitszeit in der 1. Stufe geltend machen, um sodann in der 2. Stufe die Ansprüche auf Vergütung der Überstunden zu beziffern. Hierzu wird es sicher notwendig sein, darzulegen, dass und warum überhaupt Überstunden angefallen sind.

 

 

Von: Mechtild Kuby, Fachanwältin für Arbeitsrecht, dka Rechtsanwälte Fachanwälte

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